Mit dem Rad durch Estland

 Vom 03.07. bis 25.07.2023 haben wir Estland mit unseren Rädern erobert. 

Zunächst versuchten wir für ein paar Tage der RMK Peraküla-Aegviidu-Ähijärve Fahrradroute zu folgen. Die Wege waren aber teilweise so verwachsen, dass wir irgendwann mehr auf die Straßen ausgewichen sind und eher dem R1 folgten. In Värska erreichten wir die Südspitze des Peipusee. Unsere Route führte uns dann am westlichen Ufer des Sees bis zum Alutaguse National Park. In diesem schönen Nationalpark drehten wir ein paar Schleifen um dann dem Euro-Velo 13 nach Tallinn zu folgen.

Direkt nach dem Grenzübergang nach Estland hatten wir einen richtig tollen Schlafplatz. Im Luhasoo-Schutzgebiet lag mitten im Moor eine Waldhütte. Ausgestattet mit einem Ofen, einem Tisch und Schlafmöglichkeit für drei Personen. Die Hütte konnte man nur über einen kleinen auf Holzbohlen verlaufenden Wanderpfad erreichen. Wir konnten unsere Räder gerade so auf dem Weg schieben. Kurz vor der Hütte führte der Weg an einem Moorsee entlang, an dem zwei Badezugänge bereitgestellt wurden. Die Hütte selbst lag dann auf einer Moorinsel, bewachsen von lichtem Kiefernwald mit Moorblick in alle Himmelsrichtungen. Es war keinerlei Verkehr zu hören und wir haben diesen wundervollen Platz so genossen, dass wir uns dazu entschieden haben dort zwei Nächte zu bleiben und einen Pausentag einzulegen. Wasser haben wir gefiltert aus dem Moorsee entnommen. Das Wasser in den Mooren ist zwar trinkbar, löscht aber im Prinzip nicht den Durst, denn es sind beinahe keinerlei Mineralien enthalten. Um diesen Effekt etwas zu mindern, haben wir das Wasser teils sehr leicht gesalzen und mit unserem restlichen Wasser verdünnt. Abends befeuerten wir den kleinen Ofen in der Hütte und kochten darauf. Was für ein großartiger Start in das Land Estland, gerade nach unseren Erfahrungen aus Lettland, wo wir das ein oder andere Mal lange nach einem gescheitem Zeltplatz suchen mussten.

Das mit der einfachen Zeltplatzsuche hat sich dann in den 22 Tagen die wir in Estland verbracht haben auch bestätigt. Es gibt eine von der Nationalen Waldbehörde (RMK) veröffentlichte App in der viele offizielle ausgewiesene Lagerplätze verzeichnet sind. Neben den Informationen zu Lagerplätzen findet man in der App auch Wanderwege, Lehrpfade, Aussichtspunkte und Schutzgebiete. Eine klare Empfehlung für einen Besuch Estlands. Die Lagerplätze sind zum Teil mit Schutzhütten, Feuerstellen, immer mit Toiletten und teilweise mit Feuerholz ausgestattet. Wir haben beinahe jede Nacht an einem dieser RMK-Plätze unser Zelt aufgeschlagen. Etwa 20 km vor Tallinn haben wir auf irgendeiner einer Wiese campiert.


Die Natur in Estland hat uns sehr zugesagt. Es gibt häufig wunderschöne Moore mit tollen Pfaden. Nahe der russischen Grenze bei Narva hatten wir kleine Wanderwege durch richtigen Urwald am Poruni Joki. Innerhalb von Minuten hat einen der Laub und die Bäume verschlungen. 




Wie bereits beschrieben führte unser Weg entlang des riesigen Peipusee. Diese Strecken war recht öde. Die Gegend ist recht belebt und von Landwirtschaft geprägt. Der See hat zwar teils schöne Sandstrände, ist dann aber so flach, dass das baden keinen Spaß macht. Positiv hervorheben wollen wir die Nationalparks im Norden. Der Lahemaa-Nationalpark liegt unmittelbar an der Ostseeküste. Vorher hatten wir uns nicht vorstellen können, wie ursprünglich die Landschaft an der Ostsee dort sein würde. Auf herrlichen Straßen beinahe ohne Verkehr fuhren wir viele Kilometer durch tollen Wald und hatten dabei immer wieder Möglichkeiten auf die See hinauszublicken. Erst 2018 wurde der Nationalpark Alutaguse im Nordosten eröffnet. Dieser fasst einige in der Region verteilte Naturschutzgebiete zusammen. Es gibt Seen, Moore, tiefe Wälder und ein tolles Nationalparkszentrum in Lisaku. Als wir dort unsere Räder abstellten, war die dort arbeitende Mitarbeiterin so erfreut, dass diese uns beinahe ins Gebäude zog. Dort durften wir uns einen wirklich sehenswerten und hochklassig produzierten Film über den Nationalpark ansehen und anschließend durch die Ausstellung stöbern. Es hat uns dort so gut gefallen, dass wir in dem Nationalpark noch ein paar Extraschleifen drehten.




Auch die Fauna in Estland war spannend. Vormittags weckten wir eine Rotte Wildschweine die am Straßenrand wohl geruht hatte und sich dann doch recht aufgebracht ins Unterholz zurückzog. Wir konnten erstmals in den späten Abendstunden Ziegenmelker über unserem Zelt beobachten. Diese schlugen mit ihren Flügeln im Flug und vollführten interessante Manöver bei der Insektenjagd, ließen sich von uns dabei zum Glück nicht stören. Diese Vögel gehören zu den Nachtschwalben. Eine weitere Ornithologische-Prämiere hatten wir im Lahemaa-Nationalpark. Bei der Fahrt über eine Asphaltstraße vernahmen wir ein Geräusch, dass wir beinahe für ein Defekt am Fahrrad hielten. Nur dass dieses Geräusch nicht von unseren Rädern, sondern aus dem hohen Gras kam. Es war der Ruf eines Wachtelkönig. Da diese sehr schreckhaft und scheu sind, ist im Prinzip das Hören des Rufes schon Erfolg genug. Auf eine Sichtung sollte man wohl eher nicht hoffen. Wir haben uns über das Erlebnis sehr gefreut :-). Ein Vogel war dann Nachts wiederum fast lästig. Über unserem Zelt hatte sich ein Habichtskauz gesetzt und hat wirklich sehr sehr laut und sehr ausdauernd geradezu gebellt. Ein Geräusch was ich noch nie gehört hatte. Zur Bestimmung von Vögeln anhand von Stimmen benutzen wir die App BirdNET. Per AI werden dort Audioaufnahmen ausgewertet. Das funktioniert für uns richtig gut.



Teile unserer Strecke durch Estland führten immer wieder nah an die russische Grenze. In Värska machte ein großes Schild Touristen darauf aufmerksam, dass es ratsam sei in der nähe der Grenze das mobile Internet zu deaktivieren. Ansonsten kann es schnell passieren, dass sich das Smartphone in das russische Mobilfunknetz einwählt. Die Kosten für den Datenverbrauch können dann sehr schnell sehr hoch werden. Wir haben dann für einige Tage ein Daten-Detox genossen. Etwas merkwürdig war dann ein Abstecher am Narva-Fluss entlang. Auf der anderen Seite lag Russland und die Häuser waren mit Russland-Fahnen geschmückt. So nah waren wir der Grenze nie. In dem Fluss ist das baden auch streng verboten, vermutlich da sonst ein illegaler Grenzübertritt kaum zu kontrollieren ist. Morgens wurden wir dann auf der Straße auch von einem Grenzer angehalten. Man wollte wissen woher wir kämen und wohin wir wollen. Unsere Antworten waren dann wohl ausreichend befriedigend um uns nicht für illegale Grenzübergänger zu halten. 




Wir lernen auch immer mehr über unsere Räder. Marias Schaltung fing an Gänge auszulassen. Nach geduldiger Einstellung der Zugspannung der Schaltung ging es dann wieder ohne Probleme. Torben hatte mit nervigen Klackern beim Treten zu kämpfen. Eine Demontage, Reinigung und Neuverschrauben konnte Abhilfe schaffen. Darüber hinaus haben wir das erste mal eine Kette gewechselt. Zum Glück haben wir einen Kettennieter im Gepäck. Alte Radreisehasen wird das sicherlich nur müde lächeln lassen, für uns ist jeder Reparatur ein kleiner Erfolg.


Eine notwendige Reparatur hat Torben verursacht. Klassischer Auffahrunfall durch unaufmerksames hinteres Fahrzeug, der Fahrer abgelenkt durch die Bedienung seines MP3-Players. Ursache für den plötzlichen Halt war eine im Gras liegende Pfanddose. Entstandener Schaden ist eine gebrochene Lampenhalterung am hinteren Rad. Geflickt mit Kabelbindern und einem Formschönen Stock. Dies nehme ich auch zum Anlass mal meine Unzufriedenheit mit der IQ-X von Busch & Müller zum Ausdruck zu bringen. Die Kabel sind unnötigerweise direkt auf die entsprechende Platine aufgelötet. Beim Reißen der Leitung ist ein Wechsel nur schwierig möglich. Die Lampe ist parallel zum Busch & Müller E-Werk geschaltet. Tagsüber würde ich gerne die Lampe komplett abschalten, um so genug Power für das E-Werk zu erradeln. Die Lampe ist allerdings nur mit einem Taster und nicht mit einem Schalter ausgestattet. Um die Lampe komplett abzuschalten muss ich erstmal los fahren, dann absteigen und den Taster betätigen. Dann ist sie zwar erstmal aus, beim nächsten kurzen Halt ist die aber wieder an, da die Lampe sich den Schaltzustand nicht merkt. Ich habe das gelöst in dem ich schon zu Hause einen richtigen Schalter in die Zuleitung zur Lampe geschaltet habe. Diesen wassergeschützten Schalter habe ich in einem Fachhandel für Motorradzubehör gefunden.

In Estland ist das Wetter sehr unbeständig gewesen. Wir hatten sehr flotte Wetterwechsel mit teilweise sehr starken Regenfällen. Oft hatten wir dabei allerdings sehr gutes Timing und haben dein ein oder anderen Regenschauer geschützt in einer Bushaltestelle an uns vorüberziehen lassen. Nach einem heftigen Regenschauer dem wir mal nicht entgangen sind, hatte ich recht viel Wasser in einer meiner Ortliebtaschen. Leider gerade die Tasche mit dem Laptop. Allerdings hat beinahe alles unbeschadet den Wassereinbruch überstanden. Wodran es gelegen hat weiß man nicht. Eigentlich achten wir darauf, dass alle Taschen dreimal fest eingerollt sind. Seit dem hatten wir allerdings auch nie wieder Wassereinbruch in einer der Taschen.





In Erinnerung bleibt auf dieser Reise noch ein Abend mit einem deutschen Wohnmobilistenpaar. Ich bat sie um einen Schluck Milch für unser Kaffee und erhielt nicht nur diesen, sondern auch eine Einladung zum gekühlten Bier am Abend. Diese Einladung haben wir gerne angenommen. Wir saßen einige Stunden zusammen und haben Geschichten ausgetauscht. Die beiden waren früher viel mit dem Motorrad unterwegs, mussten dann aber aus gesundheitlichen Gründen auf das Wohnmobil umsteigen. Wir waren auf einer Wellenlänge und genossen es mal wieder in unserer Muttersprache uns mit anderen auszutauschen. Das hätten wir vor unserer Reise auch nicht unbedingt vermutet.

Die Supermarktdichte im Land war gut. Supermärkte sind nicht besonders günstig. Empfehlenswert ist eine Coop-Kundenkarte zu erwerben. Die kann man für einen einen Euro in jedem Coop kaufen. Bei Berücksichtigung der entsprechenden Angebote, kann man so beim Einkauf schnell richtig Geld sparen. Im Nordosten Estlands, war leider Coop auf unserer Strecke nicht mehr so verbreitet. 

Es war für uns zwischenzeitlich mal wieder Zeit unsere Taschen auszumisten. Eine kleine Tüte mit doch für uns nutzlosen Dingen konnten wir identifizieren und zurücklassen.

Unsere Reise durch Estland endete in Tallinn. Dort kamen wir bei einem Warmshowers-Host unter. Gemeinsam waren im Kino in dem Film Oppenheimer. Ehrlicherweise war die englische Aussprache für unser Hörverständnis bei dem Film sehr schwierig. Kino haben wir irgendwie nicht vermisst auf unserer Reise. Wir hatten dann noch eine merkwürdige Diskussion mit unserem Gastgeber am Abend, der es schwachsinnig fand, dass wir so früh vor der Abfahrt der Fähre aufbrechen wollten. Typisch deutsche Überpünktlichkeit. Wir haben aber darauf bestanden und haben uns sehr früh aufgemacht zu Fähre. Wir waren gerade angekommen, konnten gerade eben noch unser Müsli vor der Fähre zu uns nehmen, bis es auch schon mit dem Boarding los ging. Wir waren also keine 5 Minuten zu früh vor Ort am Terminal gewesen. Die Räder wurden dann zusammen mit den Motorrädern auf dem Cargo-Deck untergebracht. Wir verschnürten unsere Räder so gut wie es ging und nahmen nur das nötigste an Board. Jetzt geht es endlich nach Finnland!

Zusammenfassend kann man sagen, dass uns Estland wirklich extrem gut gefallen hat. Die Straßen waren top, der Verkehr war teilweise sehr dünn, die Landschaft und Natur sagte uns sehr zu und wir fühlten uns sehr wohl. Wir werden Estland auf jeden fall noch einmal bereisen.